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Es kommt eine Gründungswelle. Wenn wir nur wollen.

Lokalmedien kann jede und jeder starten - der eine Community und etwas zu erzählen hat. Unzählige neue Medien können die Demokratie vor Ort stärken. Die Zeit drängt.

Vorwort von David Schraven

Lokaljournalismus ist in der Krise. Das ist nicht neu. Aber die Krise wird sich noch weiter verschärfen. In vielen Städten und Kreisen in Deutschland gibt es schon jetzt nur noch ein Lokalmedium und sie geraten weiter unter Druck. Das ist ein Probem für die Demokratie, weil sehr viele Menschen nicht mehr erreicht werden. Sie fallen aus den Zielgruppen der Lokalmedienmacher: Jugendliche, Zuwanderer*innen, Geringverdiener*innen.

Vor dem Hintergrund der Angriffe auf unsere Demokratie, ist das Problem umso drängender.

Lokalmedien entzaubern Populist*innen vor Ort und erklären die Bedeutung großer politischer Entscheidungen für das eigene Leben. Sie ordnen Wahlprogramme ein, sie stellen Kontakte zwischen Kandidierende und Wähler*innen her. Der Verlust von Lokalmedien führt zum Verlust von Demokratie an der Stelle, wo die Menschen sie am ehesten mitgestalten können: Vor ihrer Haustür.

Die Ursache der Krise ist vor allem wirtschaftlich getrieben. Die Anzeigen sind in den sozialen Medien. Die Abomodelle der Lokalmedien haben es schwer. Diese Entwicklung lässt sich nicht umdrehen. Wir müssen also umdenken. Es braucht viele neue Lokalmedien, die große Verlage ergänzen und das Informationsangebot für kleine Zielgruppen erweitern. Dafür brauchen wir Leute, die mehr tun als nur darüber zu reden, was man tun müsste. Wir brauchen Gründer und Gründerinnen.

Und das kann klappen. Da die Markteintrittshürden gering sind, kann praktisch jede und jeder mitmachen, der weiß wie das Geschäft funktioniert. Und das Geschäft kann man lernen. In der Reporterfabrik oder im CORRECTIV.StartHub zum Beispiel.

Pioniere gibt es. In Düsseldorf ist 2021 „Viernull“ an den Start gegangen. Neben einem täglichen Newsletter und einer Geschichte pro Tag, verdient das Projekt auch Geld mit True-Crime-Stadtführungen und ist bei Kioskabenden mit der Community im Austausch. „Rums“ hat in Münster 2020 für viel Furore gesorgt. Dort gibt seit dem Launch zwei lange Newsletter in der Woche. In Bergisch Gladbach ist das „Bürgerportal in GL“ schon seit mehr als zehn Jahren etabliert. Mit frei verfügbaren Inhalten und einer Community von Unterstützer*innen, dem Freundeskreis, ist das Bürgerportal zum wichtigsten Lokalmedium in der Stadt geworden.

Alle drei Beispiele zeigen, in welche Richtung es gehen muss: Medien müssen eng mit ihrer Community zusammenarbeiten. Davon braucht es noch mehr.

Wir müssen deswegen viel mehr Menschen befähigen, ihr eigenes, Community-zentriertes Medienprojekt zu starten. Journalismus hat die Möglichkeit, Menschen zu begeistern. Community-zentrierte Lokalmedien können zivilgesellschaftliche Kraft entfalten.

Ohne Lokaljournalismus zerfällt unsere Demokratie vor Ort

Viele Studien belegen bereits, wozu der Rückgang von Lokaljournalismus führt.

Wo Medien verschwinden, sinkt nachweislich das bürgerschaftliche Engagement, weil weniger über das Ehrenamt berichtet wird. Auch die Wahlbeteiligung sinkt nachweislich, wenn lokale Medien schwächeln. Der politische Wettbewerb leidet. Korruption und Misswirtschaft gedeihen. Unternehmen glauben, sich mehr Fehlverhalten leisten zu können.

Diese Dimension, die Bedrohung unserer lokalen Demokratie durch den Wegfall von Medien, kommt in der Diskussion um mögliche Lösungsstrategien bislang zu kurz.

Diskussion über Medienförderung greift zu kurz

Stattdessen geht es vor allem darum, Symptome der Medienkrise in den bestehenden Strukturen abzuschwächen. Wie können wir Verlage finanziell unterstützen? Brauchen wir Zustellförderungen? Wie müssen staatliche Zahlungen aussehen, damit sie die Unabhängigkeit von Medien nicht gefährden? Welche Beitragshöhe ist für den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk angemessen?

Subventionen werden nicht helfen, wenn wir nicht ein neues Leitbild entwerfen. Jeder Mensch vor Ort kann mitmachen. Es gibt keine Hürden für das Medienmachen. Jeder kann Journalist oder Journalistin sein.

Wenn wir hier ansetzen, können wir neue Lösungsstrategien finden. Wir können Menschen dabei helfen, eigene Stimmen zu entwickeln. Wir können ihnen helfen, lokale Diskussionen zu starten. Wir können ihnen Platz im Diskurs machen. Das ist ein Bildungs-Job: Wir müssen mehr Menschen in die Lage versetzen, Informationen zu sammeln, die Argumente der Gegenseite abzuwägen, sich dann eine eigene Meinung zu bilden und diese vorzubringen.

Denken wir das weiter, wird klar, was getan werden muss: Wir müssen mehr Menschen in die Lage versetzen, selbst lokale Medien zu starten und für eine ausreichende lokale Berichterstattung zu sorgen.

Wie kann das aussehen?

Community-Journalismus ist ein Weg raus aus der Krise

In meiner Heimatstadt Bottrop probiere ich das seit einiger Zeit aus. Mit ein paar Freunden, Gastronomen und Geschäftsleuten haben wir uns zusammengetan und einen kleinen Kaffeewagen auf den Bottroper Marktplatz gestellt. Unser Ziel: Das Viertel rund um den Marktplatz beleben. Denn der Markt ist eines der wenigen Dinge, die in der Bottroper Innenstadt noch funktionieren.

Kaffee ist ein tolles Getränk, um Menschen zusammenzubringen. Kaffee spendet Wärme. Er wird in unzähligen Kulturen getrunken. Es gibt ihn in jeder Preisklasse: Vom kleinen Espresso für einen Euro bis zu Baristaspezialitäten für fünf. Kaffee ist für jede und jeden. Deshalb ist die Gruppe vor unserem Kaffeewagen Woche für Woche gewachsen. Langsam aber stetig ist dort eine Community entstanden, die beim Kaffee zusammensteht, lacht, diskutiert oder streitet.

Ich habe dann angefangen, einmal in der Woche in meiner Freizeit einen Newsletter für diese Community zu schreiben, die an unserem Kaffeewagen entstanden ist. Ich sitze jetzt jeden Samstag am Kaffeewagen. Die Menschen kommen vorbei und erzählen mir ihre Geschichten. Ich recherchiere tiefer und schreibe den Newsletter. Stück für Stück ist daraus ein neues Medium für Bottrop geworden.

Die Menschen am Kaffeewagen spüren, dass sie etwas verändern können in ihrer Stadt. Im Sommer haben wir auf einer großen Leinwand auf dem Kirchplatz gemeinsam Dokus geschaut. Bei einem Barcamp haben Jugendliche eigene Ideen für Bottrop entwickelt. Aus unserer Kaffeewagen-Community hat sich eine Art Initiative gebildet, die dazu beigetragen hat, einen unsinnigen und viel zu teuren Rathausneubau zu verhindern. Wir haben einen Korruptionsskandal in der Stadtverwaltung aufgedeckt.

Wer schon mal in Bottrop war, weiß: Bottrop ist arm. Ich bin überzeugt: Wenn ein Newsletter in Bottrop funktioniert, funktioniert er überall. In den anderen Bottrops in Deutschland. In Bremerhaven oder Zwickau genauso, wie in den Kiezen von Berlin, Hamburg oder München oder auf dem platten Land.

Überall dort, wo Menschen zusammenkommen, sich austauschen und ihre Umgebung mitgestalten wollen, brauchen wir diese kleinen, unabhängigen Lokalmedien. Die Menschen eine Stimme geben und aus der Community heraus darüber berichten, was die Community bewegt. Diese kleinen Medien können etwas verändern und verbessern. Die Menschen spüren die Wirksamkeit der Demokratie.

In meinen Augen sind diese Kleinmedien eine mögliche Zukunft für unser lokales Mediensystem. Die Markteintrittshürden sind so gering wie nie. Ein Newsletterverteiler kostet keine 50 Euro im Monat. Anfangen kann jeder alleine oder in einem sehr kleinen Team. So kann die Community langsam wachsen. Bis sie irgendwann groß genug ist, um das Projekt auch finanziell zu tragen. Dann kann die Organisation weiter wachsen.

Auf diese Art und Weise kann jede*r sein eigenes Medium gründen, nicht nur Journalist*innen.

Dafür müssen nur die Profis das Wissen vermitteln, wie Interessierte vor Ort Medien mitgestalten können. Wir müssen journalistisches Handwerk unter die Leute bringen und den Menschen beibringen, wie journalistische Recherche funktioniert und wie sich jeder in der Medienwelt zurechtfinden kann. Wir müssen die Grundlagen des Journalismus in unserer Gesellschaft in möglichst vielen Köpfen verankern: sich informieren, offen und fair die Gegenseite anhören, publizieren. Wir brauchen eine redaktionelle Gesellschaft.

Die Medienrevolution von unten

Mit CORRECTIV sind wir vor 10 Jahren auch dafür an den Start gegangen: Unser Mediensystem neu zu denken. Wir brauchen mutige Pioniere, die lernen wollen, wie das Geschäft funktioniert, und die ihre Chance nutzen.

Der Gesetzgeber kann diese Bewegung stützen, indem er mit der Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus die richtigen Rahmenbedingungen schafft. Es wäre ein kleiner Eingriff in einen nicht mehr funktionierenden Markt, der ein riesiges Potential entwickeln kann. Hunderte Medien könnten sich gründen.

Dazu noch die strukturelle Hilfen, die Professor Christopher Buschow von der Hamburg Media School unter dem Begriff „Media Commons“ geprägt hat: digitale Infrastruktur wie Software, technische Werkzeuge und weitere Ressourcen, die journalistische Arbeit unterstützen, verbessern oder überhaupt erst ermöglichen.

Ein Schritt in diese Richtung ist dieses Community-Journalismus Wiki: eine offene Wissensplattform, die Ressourcen, Erfahrungen und Werkzeuge für den Aufbau von Community-zentrierten Redaktionen bündelt. Das Wissen stammt aus dem CORRECTIV.StartHub, einem Netzwerk, das Lerninhalte, Austausch und Inspiration für angegende und etablierte Mediengründer*innen bietet. Durch die Entwicklung von beabee und dem CrowdNewsroom hat CORRECTIV Software-Lösungen geschaffen, die Community-zentriertes Arbeiten in Redaktionen erleichtern.

Um ein facettenreiches Mediensystem in unserer Gesellschaft zu sichern, braucht es vielfältige Angebote, die von allen Interessierten genutzt werden können - egal ob es sich dabei um große Verlage oder um Einzelinitiativen handelt. Anders ist es nicht mehr zu schaffen.


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